- II -

Präludium

"Jeder echte Bergsteiger hat eine Heimat in den Bergen. Auch wir, die wir drunten in der Ebene wohnen. Und ob einer den ganzen Zug der Alpen durchwandert hat, es wird für ihn eine kleine Gruppe in dem großen Kranze geben, zu der seine Sehnsucht aus dem lauten Lärm der Städte an langen Winterabenden heimwärts wandert; aus der ihm die Erinnerung fließt wie ein klarer, unerschöpflicher Quell; eine Gruppe, die allein und immer wieder in seiner Vorstellung auftaucht, wenn er das Wort "Alpen" hört. Nicht weil diese Gruppe großartiger denn andere wäre, oder weil ihm hier der Erfolg Lorbeerkränze um die Eisaxt gehängt hätte. Eine Liebe, die nicht durch Maß und Vergleich ihren Sinn erhielt, verblaßt nicht vor dem, was schöner oder gewaltiger ist. Sie besteht wie die Berge bestehen, und fragt nicht warum."

"Durreck! Könnte ich deine Weise erfassen und könnte ich sie wiedergeben, den Grundton und die Grundharmonie deines Wesens. Wie ein schlichtes, deutsches Volkslied bist du, das man singt im Frühling und Sommer, wenn der Feierabend still ins Tal hereinlugt; leise, schwermütig, lieb. Und doch klingt mit dem violetten Schimmer der Rieserferner und mit dem roten Leuchten der fernen Dolomiten eine fremde Weise mit, sonnig und frohlockend. Stets hell und rein, licht und klar, wie ein Madonnenbild mit seligem Lächeln, so tratet ihr mir entgegen, ihr Berge und Himmel des Südens. Du aber kamst mir entgegen wie die deutsche Muse, mit wehenden Haaren, still und verschlossen, und tief birgst du deinen Reichtum und groß scheint dein Auge aus deinen Seen auf mich. Wenn der Sturm um die Jöcher heulte und Regenschauer uns entgegentrieb, habe ich dich betreten, aber auch wenn zwischen gewaltigen Wolkenbänken der Strahl der Sonne leuchtend und vergoldend in den Talgrund fiel. Wenn in das Knattern des Donners Felsstürze krachten und mein Pickel im Hochgewitter summte und knisterte. Und wenn dein Bild in einsamen Tälern über einsamen Seen mir erschien, so still, so traut und lieb, dann hab ich geahnt und gefühlt, was du bist, Durreck! "

Aus: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen
Alpen-Vereins; 1910, 41:

a. Oskar-Erich MEYER S. 85
b. Dr. Hermann SCHWARZWEBER S. 240


<- Zurück - Inhaltsverzeichnis - Home -Literaturverzeichnis - Weiter ->