H. Rost (2018)
Immer wieder ist zu lesen, der Kirchbühel von St. Jakob im Ahrntal sei Resultat eines Bergsturzes von der südlichen Talflanke. Als "Beleg" wird i.d.R. eine entsprechende frühere Veröffentlichung angeführt. Geht man dem allerdings nach, so stellt man fest, daß auch dort meist nur auf entsprechende noch frühere Veröffentlichungen und Erwähnungen verwiesen wird. Außer bei HANNSS (1967) und HANTKE (1983) fanden sich bei der Literaturrecherche zur Arbeit von ROST (1989) keine genaueren Beschreibungen oder überhaupt irgendwelche eigene Ausführungen der jeweiligen Autoren dazu. Selbst der ältesten von ROST dazu recherchierbaren Quelle, einer Veröffentlichung von BLAAS 1892 (Beiträge zur Geologie von Tirol: 2. Der Bergsturz von St. Jacob im Ahrnthale.- Verh. k.k. Geol. Reichsanstalt; 1892, 14: 352-353), war nichts Näheres zu entnehmen - geschweige denn echte "Belege".
An dem einzig von HANNSS (1967) (Die morphologischen Grundzüge des Ahrntales.- Tübinger geogr. Stud.; 23) beschriebenen Bergsturz-Ablaufszenario (s. ROST 1989, S. 146) tauchten bei den Geländearbeiten von ROST Zweifel auf. Zudem sprachen die Befunde bei einer Begehung des Kirchbühels 1988 durch ihn ebenfalls gegen einen Bergsturz als dessen Ursache, so daß ROST den seit 1892 "beschriebenen" angeblichen Bergsturz in seiner Diplomarbeit grundsätzlich in Frage stellte (ROST, 1989, S. 148). Ohne damals für ihn praktikable weitere Untersuchungsmöglichkeiten nannte ROST eine spätwürmzeitliche Endmoräne des Ahrntal-Gletschers als "vielleicht plausibelste Deutung".
Im Zuge des "Relaunch" dieser Website sowie der damit verbundenen Modernisierung der Präsentation seiner Diplomarbeit, stieß der Autor nun bei begleitenden Recherchen auf eine Veröffentlichung aus 2011,
mit der der vermeintliche Bergsturz von St. Jakob wohl endgültig ins Reich der widerlegten wissenschaftlichen Thesen verwiesen werden kann:
Die "Erläuterungen zur geologischen Karte von Italien im Maßstab 1:50.000, Blatt 003, Klocknerkarkopf (2011)" führen eine modernere Kernbohrung SG1 auf dem "charakteristischen Rücken bei St. Jakob" an, bei der die Felsoberkante in einer Teufe von 12,50 m erbohrt wurde. Dabei handele
es sich um "Quarz-Glimmerschiefer der Dreiherrnspitz-Decke mit Albitporphyroblasten, Chlorit und Biotit". Dieser
"kristalline Span" wird von den Autoren als "aufgeschobene Schuppe entlang der sinistralen, transpressiven Scherzone im Haupttal"
interpretiert. (S. 62) Er ist nur von dünnen glazialen Sedimenten überdeckt, die
sie der spätglazialen Phase des Kasern-Subsynthems zuordnen (S. 64).
Der Kirchbühel besteht demnach jedenfalls nicht aus irgendwelchen Bergsturzmassen, die ggf. Hinweis auf einen entsprechenden Bergsturz gewesen wären, sondern in seinem Kern wohl aus einem
massiven Gesteinspaket, das bei Verschiebungen längs des Haupttales hier tektonisch eingeschuppt wurde. In Bezug auf die glazialen landschaftlichen Veränderungen handelt es sich somit um ein von
Gletschern nur überprägtes präexistentes "Hindernis". Auch die These von
KLEBELSBERG (1929), der den Kirchbühel als bedeutenderen Moränenkörper deutete, ist damit hinfällig.
Die Annahme von ROST (1989), der glaziale Sedimente des Kirchbühels einem Haupttalgletscher zuordnete (S. 148), scheint durch die neuen Erkenntnisse, auf deren Basis in den Erläuterungen 2011 die
glaziale Überdeckung der Rippe dem Kasern-Subsynthem zugeschrieben wird (S. 64), bestätigt. Dies betrifft aber eben nur die oberen Meter. Die tieferen Ursachen des Bühels waren nur von der Geländeoberfläche aus, ohne klärende Bohrung, für alle früheren Bearbeiter nicht erkennbar.
Traurig sein muß übrigens niemand: die tatsächliche Ursache des Kirchbühels ist durchaus sogar außergewöhnlicher, als eine mächtige Endmoräne oder ein Bergsturz :)
Jetzt wäre die Ermittlung von Umfang und Form der tektonischen Schuppe interessant. Dazu aber bräuchte es weitere Bohrungen und/oder Geophysik. Vielleicht gibt es ja irgendwann nochmals Anlaß für eine Fortschreibung dieses Artikels.